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Gibt es ein Recht auf Proteste in Sicht- und Hörweite?

Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht. Über Zeit und Ort und Art der Demonstration entscheidet der Veranstalter oder die Veranstalterin, nicht die Versammlungsbehörde. Die kann aber die Ausübung des Grundrechts durch den Erlass von Auflagen einschränken.

Auflagen sind das Ergebnis einer Abwägung verschiedener Rechtsgüter durch die Versammlungsbehörde, etwa des Schutzes der öffentlichen Sicherheit gegenüber dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Sie dürfen laut § 15 des Versammlungsgesetzes nur zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung getroffen werden. Auflagen schränken die Versammlungsfreiheit ein, dürfen eine Versammlung aber nicht verunmöglichen.

Grundsätzlich muss ein „Beachtungserfolg“ möglich sein. Durch eine Auflage darf die Verfolgung des Versammlungszwecks nicht vereitelt werden. Eine Gegendemonstration muss daher in Hör- und Sichtweite zu einer Neonazi-Demonstration stattfinden können, damit sie die Chance hat, beachtet zu werden. Ist dies nicht gewährleistet, käme dies einem Verbot der Gegendemonstration gleich.

Zulässige und unzulässige Auflagen

Eine zeitliche oder räumliche Abänderung einer Gegendemonstration durch die Versammlungsbehörde ist zulässig, wenn für eine solche Auflage gewichtige Gründe vorliegen. Das können etwa eine zeitlich frühere Anmeldung für den gleichen Ort sein oder gewalttätige Auseinandersetzungen mit Gefährdung unbeteiligter Dritter ohne Abwendungsmöglichkeit durch die Polizei.

Die Verfügung einer räumlichen Trennung zwischen Demonstration und Gegendemonstration, die aber noch ein Agieren in Seh- und Hörweite ermöglicht, kann rechtmäßig sein, um den Bestand und Ablauf der zuerst angemeldeten Demonstration zu schützen. Allerdings schützt das Versammlungsrecht nicht generell vor Missfallensbekundungen und störenden Geräuschen durch Gegendemonstrationen.

Unzulässig ist eine Verlegung einer Demonstration wegen Störungen Dritter. Das Versammlungsrecht ist ein vorrangiges Rechtsgut. Ein „Recht“ auf freie Fahrt, auf Einkaufen oder Ruhe ist kein gleichwertiges Rechtsgut. Belästigungen durch Versammlungen müssen Dritte deshalb ertragen, wenn keine unmittelbare Gefährdung anderer gleichwertiger Rechtsgüter (zum Beispiel der körperlichen Unversehrtheit) gegeben ist.

Daher kann eine Kundgebung nicht zeitlich verlegt werden, nur weil diese in der Haupteinkaufszeit liegt. Auch die Wahl des Versammlungsortes ist durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Das gilt allerdings nur für öffentliche Räume, nicht für private Grundstücke. Nur wenn sich öffentlich genutzte Räume wie Einkaufzentren, Bahnhöfe oder auch Flughäfen mehrheitlich im Besitz des Staates befinden, gilt auch hier das Recht auf Demonstrationsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Februar 2011, dass auch der von einer Aktiengesellschaft betriebene Frankfurter Flughafen daher Demonstrationen zulassen muss.

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